Umsetzung der Pflegeinitiative: Botschaft des Bundesrats ungenügend

Seit der überdeutlichen Annahme der Pflegeinitiative sind schon fast dreieinhalb Jahre vergangen. Nun präsentiert der Bundesrat endlich seine Umsetzungsbotschaft. Die Verbände und Gewerkschaften des Gesundheitspersonals begrüssen zwar die damit angestrebten Ziele. Doch soll die konkrete Umsetzung komplett in den Händen des Bundesrats bleiben, der dafür keinen einzigen zusätzlichen Franken vorsieht! Fazit: Ungenügend.

Seit Jahren arbeitet das Pflegepersonal in den Heimen, in den Spitälern und in der Spitex am Anschlag. Das Personal ist chronisch überlastet und wird schlecht behandelt. Ruhezeiten werden andauernd gebrochen, Dienstpläne werden laufend verändert und die Löhne sind weiterhin zu tief. Viele Angestellte verlassen den Beruf deshalb weiterhin nach wenigen Jahren. Doch geschehen sollte genau das Gegenteil! Denn für die kommenden Jahre besteht bekanntlich ein zusätzlicher Bedarf an weiteren zehntausenden Pflegekräften. Deshalb das wuchtige Ja der Bevölkerung zur Pflegeinitiative, und deshalb die Dringlichkeit, diese Initiative möglichst schnell und möglichst umfassend umzusetzen.

Doch geschehen ist bis jetzt das Gegenteil: Die «1. Etappe» der Umsetzung ist ein Minipaket, das zudem – je nach Kanton – in guten Fällen nur harzig anläuft und in schlechten Fällen durch die Kantone selbst völlig ausgehöhlt wird. Umso wichtiger bleibt die «2. Etappe», nämlich die konkrete Verbesserung der Situation durch das neue «Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (BGAP)». Zu diesem Gesetz hat der Bundesrat nun endlich seine Botschaft präsentiert. Diese kommt leider nicht nur zu spät, sie ist auch unzureichend und in gewissen Punkten sogar kontraproduktiv.

Zwar begrüssen die Verbände und Gewerkschaften des Gesundheitspersonals selbstredend das Ziel der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den vorgesehenen konkreten Bereichen wie etwa die Reduktion der Höchst- und Normalarbeitszeit, den Ausgleich von Überstunden, Nacht- und Sonntagsarbeit sowie die strikteren Vorgaben bezüglich der Dienstpläne. Für die Umsetzung dieser Ziele ist die Botschaft allerdings sehr problematisch. Denn erstens sollen die neuen Vorgaben fast in ihrer Gesamtheit auf dem Verordnungsweg, das heisst in Kompetenz des Bundesrates und nicht des Parlaments, in Kraft gesetzt werden (oder auch nicht). Und zweitens – noch gravierender – sind dafür keinerlei zusätzliche finanzielle Mittel vorgesehen. Selbstverständlich ist aber klar: Ohne mehr Mehl kein grösserer Kuchen. Für das bestehende Pflegepersonal wäre eine «kostenneutrale» Umsetzung des BGAP wohl sogar stark kontraproduktiv. Statt zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen käme es zu einer weiteren Verdichtung der Arbeit und zu noch mehr Stress.

Das neue BGAP könnte zudem auch deshalb sogar zu einer Verschlechterung der Personaldotation in den Betrieben und Organisationen der Kranken- und Langzeitpflege führen, weil der Bundesrat genau in diesem Bereich komplett auf jedwede Bestimmung verzichten will. Dies, obwohl die Einführung von minimalen Vorgaben für die personelle Ausstattung eine der zentralen Forderungen der Pflegeinitiative war.

Während der Bundesrat in den genannten Bereichen auf Verbesserungen verzichtet, plant er im Bereich der «Normenhierarchie» sogar bewusst eine Verschlechterung. Denn mit der nun verabschiedeten Version des BGAP wäre es künftig sogar möglich, mit Gesamtarbeitsverträgen von den verbesserten Vorgaben des neuen Bundesgesetzes gegen unten abzuweichen. Dieser Mechanismus ist für das Pflegepersonal ein Hohn: Es wäre es ein absurdes Vorgehen, im Rahmen eines neuen Gesetzes, einen Mechanismus dafür zu schaffen, die mit diesem Gesetz bewusst angestrebten Verbesserungen gleich wieder rückgängig machen zu können.

Es liegt nun am Parlament, die Zeichen der Zeit zu erkennen und verantwortungsbewusst an einer Verbesserung des BGAP zu arbeiten. Insbesondere muss der Boden für eine langfristige, zuverlässig ausgestaltete zusätzliche Finanzierung für den Erhalt der Pflegequalität gelegt werden. Ansonsten sind sämtliche Debatten für die Galerie und die Nichtachtung des Verfassungsartikels 117b (Pflegeinitiative) würde weiter andauern.